Kernaussagen
Es genügt keinesfalls, evidenzbasierte Richtlinien für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
zu erstellen und bekannt zu machen, um nosokomiale Infektionen zu verhüten.
Die anhaltend weite Ferne von der 100 %-Compliance-Marke bei der hygienischen Händedesinfektion
zwingt, die vordergründige Klischees bedienende Sicht vom „Schlendrian trotz bestehender
Hygienevorschriften, von Inkompetenz und Ignoranz”, von der „wahnsinnigen Hygiene-Schlamperei
in den Kliniken” aufzugeben und zu ersetzen durch eine differenzierte Sicht.
Damit alle im Gesundheitswesen Tätigen alle relevanten Empfehlungen stets einhalten, ist es unabdingbar, dass die wichtigsten Entscheidungsträger sowohl das Behandlungsteam als auch das
Hygienefachpersonal angemessen bei der Umsetzung unterstützen. Diese angemessene Unterstützung fehlt in vielen Fällen,
weil sie (Personal-) Kosten verursacht.
Mit dem Ziel Personalkosten zu reduzieren und Fallzahlen zu steigern, werden Betriebsabläufe
geschaffen und unterhalten, die prinzipiell geeignet sind, über die Zeit Dritte zu
gefährden.
Vor diesem Hintergrund wird das Personal in den Krankenhäusern auch weiterhin unter
den Bedingungen „Zu-wenige-Hände-versorgen-zu-viele-Kranke” zu arbeiten haben. Kliniker
werden auch weiterhin auf handlungsleitende Surveillancedaten verzichten müssen. Mit
traurigen Einzelschicksalen werden die Medien auch weiterhin über nosokomiale Infektionen
am „Tatort Krankenhaus” berichten und in der Folge wird erneut der Ruf nach schärferen
Hygieneregelungen laut werden, ein Kreislauf, der keine nosokomiale Infektionen verhütende
Wirkung entfalten kann.
Es ist für die Richtlinienersteller und Personalzuteiler – den patientenfernen Entscheidern
– überfällig, sich der Erkenntnis zu stellen, dass mit der Fokussierung auf Hygienefehler,
„begangen” von patientennahen Individuen, die eigentliche Ursache für vermeidbare
nosokomiale Infektionen aus dem Blickfeld gerät: das Versagen eines Systems!
Wenn auf Intensivstationen eine Krankenschwester 3 und mehr Schwerkranke gleichzeitig
in der Schicht zu versorgen hat, wenn Hygienefachpersonal auch nicht annähernd zur
Verfügung steht, um wichtige Maßnahmen der Prävention zeitnahe und mit Aussagekraft
zu erledigen, dann ist die heute beklagte Zunahme von nosokomialen Infektionen, von
antibiotikaresistenten Bakterien in Gesundheitseinrichtungen, ein Signal für eine
Überlastung des Systems, mit – in einem Schadensfall – identifizierbaren Verantwortlichen,
die damit den geforderten Sanktionen zugänglich wären. Zu nennen sind hier – auch
– die patientenfernen Entscheider, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, die Voraussetzungen
zu schaffen, damit tatsächlich alle im Gesundheitswesen Tätigen alle relevanten Empfehlungen
stets einhalten können. Kommt es tatsächlich zu einer nosokomialen Infektion oder
gar zu einem Ausbruch, dann „wird sich die verantwortliche Administration des Krankenhauses
(…) für ihre Personalpolitik rechtfertigen müssen.”
Es ist der Sicherheit der Patienten dienlich, wenn generalpräventiv auch das Tun der
„Täter hinter den Tätern” in Arzthaftungsprozessen gewürdigt würde. Hier besteht ein
Fortentwicklungsbedarf des medizinischen Haftungsrechts – nicht nur, aber auch in
strafrechtlicher Hinsicht.